Gluten- und laktosefreie Lebensmittel haben Hochkonjunktur. Ist in den letzten Jahr die Zahl der Patienten mit Lebensmittelunverträglichkeiten rasant gestiegen oder wie erklären Sie sich die Entwicklung?
Das hat vermutlich mehrere Ursachen. Einerseits bewirbt die Lebensmittelindustrie seit einigen Jahren intensiv gluten- und laktosefreie Produkte. Andererseits wollen selbst ernannte Ernährungsgurus, Weizen und Milch als Auslöser diverser Volkskrankheiten erkannt haben. So geriet gerade das harmlose Gluten in den Ruch, schädlich zu sein.
Außerdem haben immer mehr Menschen den Anspruch, sich möglichst natürlich und gesund zu ernähren. Treten dann trotzdem Verdauungsprobleme wie Blähungen auf, tendieren viele dazu, eine Lebensmittelunverträglichkeit zu vermuten und vorbeugend den vermeintlichen Übeltäter zu meiden.
Wo liegt das Problem, einfach glutenfrei zu essen, wenn man einen Verdacht hegt?
Sofern Sie nach einem Bissen Brot keine unmittelbaren allergischen Reaktionen zeigen, sollten Sie nicht von heute auf morgen glutenfrei essen. Zum einen erschwert dies die Diagnose einer Zöliakie. Zum anderen ist glutenfreie Ernährung nicht unbedingt gesünder. Glutenfreie Kost enthält in der Regel mehr Zucker und Fette – und ist dazu meist teurer.
Welche Einwände gibt es gegen laktosefreie Lebensmittel?
Medizinisch keine.
Was genau bedeutet eigentlich der Begriff „Lebensmittelunverträglichkeit“?
„Lebensmittelunverträglichkeit“ ist der Überbegriff für alle Arten von Unverträglichkeitsreaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel oder deren Inhaltsstoffe. Mediziner unterscheiden dabei toxische und nicht-toxische Unverträglichkeitsreaktionen.
Die toxischen Formen sind besser bekannt als Lebensmittelvergiftungen, beispielsweise durch verdorbenen Fisch oder ungenießbare Pilze. Die nicht-toxische Unverträglichkeitsreaktionen umfassen den großen Rest: unter anderem durch Enzymmangel bedingte Unverträglichkeiten wie Laktose- und Fruktoseintoleranz, Nahrungsmittelallergien wie die Erdnussallergie sowie die verschiedenen Formen von Glutenunverträglichkeit.
Welcher Anteil der Bevölkerung leidet tatsächlich an Lebensmittelunverträglichkeiten?
Am weitesten verbreitet ist die sogenannte intestinale Fruktoseintoleranz. Etwa 15 bis 25 von 100 Menschen bekommen Blähungen, Durchfall oder Verstopfung, wenn sie mehr als 25 Gramm Fruchtzucker pro Tag aufnehmen. Gesunde schaffen bis zu 50 Gramm am Tag, bevor der Darm rebelliert. Ursache für die Beschwerden sind Darmbakterien, die überschüssigen Fruchtzucker abbauen und dabei Gase entwickeln. Fruchtzucker steckt überwiegend in Honig, Süßigkeiten, Früchten und Fertiggerichten.
Auf Platz zwei steht die Laktoseintoleranz: Etwa 15 von 100 Menschen vertragen nur geringe Mengen Milchzucker. Zu viel Milch, Milchschokolade, Quark, Frischkäse, Joghurt oder Sahne, und es rumort im Darm. Da der Körper den Milchzucker nicht verwerten kann, übernehmen dies Darmbakterien. Dabei entstehen Gase und Milchsäure. Erstere bläht den Darm auf, letztere entzieht dem Körper Wasser und verdünnt den Darminhalt. Die Folge sind heftige Blähungen, Bauchschmerzen sowie Durchfall – und manchmal auch Übelkeit bis hin zum Erbrechen.
Viele Betroffene leiden übrigens sowohl an Fruktose- als auch an Laktoseintoleranz.
Wie viele Menschen leiden an Glutenunverträglichkeit?
Hier muss man differenzieren, da eine Glutenunverträglichkeit ein Symptom verschiedener Erkrankungen sein kann. Die Experten der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (DZG) unterscheiden drei Krankheitsbilder: Zöliakie, Weizenallergie und schließlich Gluten- oder Weizensensitivität.
An der echten Zöliakie leidet etwa einer von 200 bis 500 Menschen. Sie ist nicht heilbar. Betroffene müssen lebenslang streng glutenfrei essen. Schon kleine Mengen an Gluten, das als sogenanntes Klebereiweiß in einigen Getreidesorten vorkommt, können die Dünndarmschleimhaut entzünden und diverse Krankheitszeichen verursachen.
Eine Weizenallergie betrifft etwa einen von 100 Menschen. Sie ist die gefährlichste Form der Glutenunverträglichkeit. Betroffene können bei Kontakt mit Spuren des Klebereiweißes schwere allergische Reaktionen zeigen – von Asthma bis hin zum anaphylaktischen Schock.
Bei der Gluten- oder Weizensensitivität sind die Zahlen noch unklar. Hierunter fallen alle, die zwar empfindlich auf glutenhaltige Lebensmittel reagieren, aber nachweislich weder an Weizenallergie noch an Zöliakie leiden. Zudem ist umstritten, ob die Betroffenen tatsächlich auf Gluten reagieren. Möglicherweise heißen die wahren Reizstoffe Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATIs. Da diese in allen glutenhaltigen Getreidesorten vorkommen, lassen sich diese ebenfalls nur durch eine glutenfreie Ernährung vermeiden.
Bei etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen verursachen glutenhaltige Lebensmittel gesundheitliche Probleme. Das schätzen zumindest Wissenschaftler, die die ATIs als mögliche Verursacher der Gluten- oder Weizensensitivität identifiziert hat.
Was raten Sie Betroffenen, die häufig an Verdauungsbeschwerden leiden?
Versuchen Sie sich zu erinnern, seit wann Ihnen die Beschwerden bewusst geworden sind. Häufig steckt eine plötzliche Ernährungsumstellung hinter Verdauungsbeschwerden. Wer beispielsweise von heute auf morgen auf ballaststoffreiche oder vegetarische Kost umstellt, der überfordert seinen Darm.
Reduzieren Sie auch Light- oder Diätprodukte, die Zuckeraustauschstoffe wie Aspartam, Sorbit oder Xylit enthalten. Zu viel davon wirkt abführend, da Ihr Körper diese Stoffe nicht oder nur teilweise verwerten kann. Übrigens: Wer Fruktose schlecht verwerten kann, der hat dieselben Probleme mit Sorbit.
Idealerweise schreiben Sie über ein bis zwei Wochen ein Verdauungstagebuch. Darin notieren Sie im Detail, was Sie wann gegessen haben und welche Beschwerden sich in den folgenden Stunden eingestellt haben. Notieren Sie aber nicht nur Verdauungsbeschwerden, sondern auch andere Befindlichkeitsstörungen die Ihnen auffallen – beispielsweise Hautausschläge, Erschöpfung oder Kopfschmerzen.
Wie lässt sich eine Lebensmittelunverträglichkeit feststellen?
Falls Sie häufig an Verdauungsbeschwerden leiden, sollten Sie Ihren Hausarzt um Rat fragen. Eine Milchzucker- oder Fruchtzuckerunverträglichkeit kann dieser mit einem einfachen Test feststellen. Hierzu müssen Sie auf nüchternem Magen entweder eine Fruchtzucker- bzw. eine Milchzuckerlösung trinken. Anschließend wird in den folgenden zwei bis drei Stunden alle 15 Minuten der Wasserstoffgehalt Ihrer Ausatemluft gemessen. Anhand der Messdaten kann der Arzt erkennen, ob überwiegend Bakterien den Zucker verwerten und damit Ihre Beschwerden verursachen.
Bei begründetem Verdacht auf Glutenunverträglichkeit muss der Arzt zuerst eine Allergie ausschließen. Eine Zöliakie lässt sich nur anhand von Blutproben und einer Untersuchung der Dünndarmschleimhaut feststellen.
Welche Ursachen können Verdauungsbeschwerden noch haben?
Bei plötzlich auftretenden, starken Verdauungsbeschwerden gibt es weitere nahe liegende Ursachen – wie eine Magen-Darm-Infektion, eine Darmentzündung oder Nebenwirkungen von Arzneimitteln.
Regelmäßig wiederkehrende Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung, und Blähungen können auch auf ein Reizdarmsyndrom hindeuten. Hier reagiert der Darm grundsätzlich überempfindlich – insbesondere bei Stress, ballaststoffreicher Kost oder fettem Essen. Die genauen Ursachen dieser Erkrankung sind aber noch nicht verstanden.